Matomo

Bewertung: 4/5 Sterne

Filmkritik Infinity Pool

Wenn ein Cronenberg Urlaub macht …

Endlich Urlaub! Sommer, Sonne, Strand und all-inclusive. Vielleicht lernt man auch neue, coole Menschen kennen? Vielleicht killen wir auch ein paar Leute, vielleicht auch uns selbst? Am Ende wird irgendeiner, der hoffentlich ich bin, überleben. Vielleicht ist es auch mein Klon, na ja, Hauptsache ich merke es nicht. In „Infinity Pool“ zeigt uns Brandon Cronenberg eine völlig neue Möglichkeit des Eskapismus, die nicht nur die Frage der Identität auf eine abartig groteske Reise schickt.

Die Handlung

Endlich mal wieder Chillen am Strand (Foto: Universal Pictures)

Endlich mal wieder Chillen am Strand (Foto: Universal Pictures)

Vor sieben Jahren veröffentlichte James seinen Debütroman „Die wandelbare Hülle“. Seitdem verließ den gutaussehenden, doch unsicheren Schriftsteller die Muse. Seine gut betuchte Frau Ann (Cleopatra Coleman) entführt ihn zum Zwecke der Inspiration in ein abgeriegeltes Luxusresort im fiktiven Staat Li Tolqa. Die dort aufziehende lethargische Langeweile wird unverhofft unterbrochen, als James die junge Gabi Bauer (Mia Goth) kennenlernt, die sich als großer Fan seines Werkes ausgibt. Spontan entführt sie und ihr Mann Alban (Jalil Lespert) das Paar zu einem verbotenen Ausflug außerhalb des Resorts. Auf der Rückfahrt überfährt der ermüdete James einen armen Bauern. Gabi beruhigt ihn: „Morgen kümmert sich Mr. Trash darum.“

Am nächsten Morgen wird James verhaftet. Ein Polizist (Thomas Kretschmann) klärt ihn über die drakonische Rechtsprechung in Li Tolqa auf: tötet man einen Menschen, muss man selbst mit dem Leben büßen. Und zwar durch die Hand des jüngsten Sohnes des Opfers. Da eine solche drastische Maßnahme nicht zwingend den Tourismus belebt, existiert jedoch ein Schlupfloch: gegen ein gewisses Entgelt wird vom Täter ein Klon erschaffen, der stattdessen ermordet wird.

Ist das wirklich Brad Pitt? (Foto: Universal Pictures)

Ist das wirklich Brad Pitt? (Foto: Universal Pictures)

Gesagt, unterschrieben, getan – kurz darauf findet sich das Paar in einer Art Indoor-Manege wieder. Sie sehen zu, wie James Ebenbild, mit allen Erinnerungen und in Todesangst, von einem Kind langsam und blutig erdolcht wird. Traumatisiert erfährt er, dass eine ganze Gruppe Menschen um die Bauers herum, diese Möglichkeit der Schuldfreisprechung regelmäßig für abartige Exzesse nutzt. Ein Strudel des moralischen Absturzes beginnt. Und es bleibt irgendwie stetig offen: Wer wird eigentlich getötet, der Täter oder sein Doppelgänger? Und das ist nur der Anfang …

Filmkritik „Infinity Pool“

Wir lieben David Cronenberg, den Mitbegründer des Body-Horrors. Werke wie „Scanners“ (1981), „Die Fliege“ (1986) oder „eXistenZ“ (1999) sind feste, unvergleichliche Meilensteine im Horror-Genre mit hohem Intelligenzpotential. Sein Spross Brandon tritt damit in große Fußstapfen und bewies nicht zuletzt mit „Possessor“ (2020), dass er Verstörung und Kunst verdammt smart kombinieren kann. Mit seinem dritten Langspielfilm scheut er sich ebenfalls nicht, sich die Haare nass zu machen, und knüpft erneut an sein Faible für blutige und obszöne Philosophie an.

Die Story ist vorerst solide aufgebaut: Die erdrückende Grundstimmung des Paares und der Umgebung, das erfrischende Kennenlernen der Bauers, das fast aufdringliche Kippen der Stimmung aufgrund überraschend sexueller Momente, bis hin zum Mord und der völlig weltfremden Freisprechung. Diese radikale Entwicklung ist so abstrakt, dass man sie nur lieben kann – trotz all der logischen Fragen, die eine solche Begebenheit aufwirft. Denn welches arme Land kann schon in wahnwitziger Geschwindigkeit Klone erschaffen? Als Basis für die daraus entstehende Entwicklung können wir jedoch einige offene Fragen entspannt vertrösten.

Neulich beim Videodreh von Eiffel 65 (Foto: Universal Pictures)

Neulich beim Videodreh von Eiffel 65 (Foto: Universal Pictures)

Die zweite Hälfte des immerhin fast zwei Stunden langen Filmes, verläuft sich jedoch in eine leicht verstörende, unstrukturiert wirkende Fluchtsequenz. Erst im Nachgang entwickelt dieser Teil das volle Verständnis und seine Berechtigung im Gesamtbild. Das ist schade für einen Popcorn-Moment, wird jedoch Fans und Denker begeistern – spätestens beim zweiten Mal anschauen.

Die Werkzeuge für dieses Kunstwerk wählte Cronenberg sehr bedacht. Die Atmosphäre des tropischen, weißen Luxusidylls kippt bereits in den ersten Minuten. Das wird durch sägende Klänge und eine verheißungsvoll drehende Kameraperspektive erzeugt.

Ein zentrales verstörendes Motiv ist außerdem der Gebrauch von traditionellen, verzerrten Masken, die den eskalierenden Touristen eine weitere Möglichkeit zur anonymen Grenzüberschreitung gibt. Konsequente sexuelle Übergriffe und perverse Andeutungen stürzen die abstrakte Situation schnell in einen Alptraum voller gesellschaftskritischer und existenzieller Fragen. Motive wie Tourismus im Konflikt von Armut und Reichtum, Missbrauch von Wissenschaft und Geld, Moralverlust im Angesicht scheinbarer Konsequenzlosigkeit, die Infragestellung und Zerstörung der eigenen Persönlichkeit kollidieren hier unangenehm und doch genussvoll.

Wir zwei und die Maske (Foto: Universal Pictures)

Wir zwei und die Maske (Foto: Universal Pictures)

Vor allem die Möglichkeit der strafrechtlichen Freisprechung für Mord durch Mord des eigenen Selbst setzt exzessive Energien frei. Der moralische Verfall sowie die Entfremdung von eigenen Ich vermittelt uns Cronenberg durch stroboskopisch dargestellte Orgien und entrückte Blickwinkel auf unangenehme Weise.

Perversion und Penetration sind ebenfalls ein elementares Werkzeug Cronenbergs zur Darstellung innerer Zerrissenheit und vielzähliger kritischer Themen. Die Intensität ist dabei ausschlaggebend für die Aussage des Films, auch wenn sie nicht jedem schmecken wird. Doch auch Ästheten kommen hier auf ihre Kosten: schon das Intro besticht durch Designraffinesse und setzt sich erfrischend wiederkehrend im Film fort.

Alexander Skarsgård („The Northman“ 2022, „Godzilla vs. Kong“ 2021), ebenfalls der Sohn einer Hollywoodgröße (Stellan Skarsgård, Bruder Bill Skarsgård), verkörpert die zerbrechliche Rolle des James so präzise, dass der Betrachter selbst den Prozess der menschlichen Entfremdung durch sein Gesicht erlebt. Die Verführung sowie die Zerstörung begegnet ihm durch Mia Goth („Susperia“ 2018, „X“ 2022, „Pearl“ 2022) – mittlerweile eine Instanz in Sachen schöne Augen und hartem Splatter. Als Symbol für erotische Destruktivität wünschen wir uns dennoch mal einen neuen Ansatz. Aber hey Mia, wir lieben dich.

Die Versionen

Dieser „Infinity Pool“ braucht mehr als ein Seepferdchen-Anstecker und Schwimmflügel, um ihn zu genießen. Universal Pictures brachte dieses fast zwei Stunden dicke Wellnessvergnügen chlorfrei, sprich ungekürzt mit FSK 18, in die Kinos. Seit Kurzem darf auch in den Wohnzimmern wohlig uncut geschnorchelt werden. Jeder blutige Stich, jede Peniseinblendung und jeder zerschlagene Schädel wäre auch schwer wegzudenken, um dem Werk seinen vollen Tribut zu zollen.

Das Urteil von Horrormagazin.de

Wem dieser blutige „Infinity Pool“ zu heiß ist, dem empfehle ich dann doch lieber eine Badewanne mit Schaum und Kerzen. Selbst erfahrene Schwimmer können hier bei dem Grad an Exzess, Gewalt und grausamer Metaphorik schnell zu viel Wasser in die Lunge bekommen. Zweifelsohne hat Brandon Cronenberg damit den klügsten, aber auch schwersten Horrorfilm des Jahres serviert. Dennoch ist es ein pointierter, ordentlich Meskalin-getränkter Nagel ins Auge der Gesellschaft – kunstvoll, wenn auch zum Ende etwas verstreut. Ein nachhallendes Erlebnis, das viel Aprés Lotion braucht, sich aber in jedem Fall lohnt.

Bewertung: 4/5 Sterne

Der offizielle Trailer zum Film "Infinity Pool"

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Über Mallory Knox

Schon von klein auf kitzelte Mallory Knox das künstlerisch Spezielle. Filme hatten dabei immer einen besonderen Stellenwert. Nicht zuletzt durch die Ästhetik Cronenbergs verfiel sie dem Genre restlos und gibt jetzt schreibwütig ihren Senf dazu.
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