Matomo

Bewertung: 5/5 Sterne

Filmkritik Men – Was dich sucht, wird dich finden

Ein Biss vom Apfel verändert alles!

Der Garten Eden steht in der Bibel für einen traumhaft schönen Ort. Wir finden darin Eva und Adam, einen Apfel, eine Schlange. In Alex Garland’s „Men“ (2022) ist Adam in den Tod gesprungen und hinterlässt einen Albtraum an gleichgesichtigen Schlangen, die Eva in ein göttlich gelungenes Horror-Psycho-Inferno verbannen. Die Produktionsfirma A24 zeigt hier gewohnt eindrucksvoll, was Kennerkino ausmacht.

Die Handlung

Sie wissen schon, dass das meine Limo ist? (Foto: Plaion Pictures)

Sie wissen schon, dass das meine Limo ist? (Foto: Plaion Pictures)

Ein Mann stürzt vor einem Fenster hinab in die Tiefe – in Zeitlupe trifft uns sein starrender Blick. Er stirbt sofort, die Hand zerrissen und der Bauch zerstochen an den Spitzen eines gusseisernen, schwarzen Zaunes. Zeugin ist seine schreiende Frau Harper Marlow (Jessie Buckley). Um ihr Trauma zu verarbeiten, reist sie zu einem Landhaus ins malerische Landhaus Cotson, Hertfordshire. Dort eingetroffen wird sie von dem kuriosen Besitzer Geoffrey (Rory Kinnear) begrüßt und herumgeführt.

In einigen Rückblenden wird deutlich, wie die Beziehung zu ihrem Mann ihr tragisches Ende fand. In einem eskalierenden Streit schlägt und erpresst er sie: „Ich bringe mich um! Ich sage es, weil du dann damit leben musst!“. Nachdem Sie ihn daraufhin aussperrt, stürzt er vom Balkon des Obergeschosses.

Während eines belebenden Spaziergangs durch die nahe gelegenen Wälder, gelangt Harper an einen stillgelegten Eisenbahntunnel. Fasziniert von ihrem Echo erscheint am anderen Ende plötzlich eine menschliche Silhouette, die schreiend auf sie zurennt. Auf einer idyllischen Wiese entdeckt sie einen unbekleideten Mann, der ihr ebenfalls folgt und versucht in ihr Haus einzudringen. Der Polizeibeamte, der Goeffrey erschreckend ähnelt, nimmt die verängstigte Harper nicht ernst und lässt den nackten Stalker kurz darauf frei.

Unendliche Weiten... (Foto: Plaion Pictures)

Unendliche Weiten… (Foto: Plaion Pictures)

Verstört sucht sie in einer alten Kirche nach Trost und Ruhe. Ein Junge hinter einer Puppenmaske, der ebenfalls Goeffrey ähnelt, fordert sie wenig einladend zum Spielen auf. Ein Pfarrer mit dem gleichen Gesicht belästigt sie, gibt ihr die Schuld am Tod ihres Mannes. Auch im dörflichen Pup wird sie von verschiedenen Gestalten gleicher Mimik beleidigt und kaum ernst genommen.

Harper flüchtet in ihr Landhaus. Hier beginnt der bisherige Psychoterror noch plastischere und bedrohlichere Formen anzunehmen. Die gleichgesichtigen Gestalten des Dorfes, jede in seiner Manifestation von Unterdrückung, Missbrauch und Angst, suchen sie nun heim. Nach und nach konfrontieren sie Harper mit dem perversen Kern ihrer Rolle und erleiden, scheinbar durch Zufall, den Verletzungen ihres toten Mannes. Ein Überlebenskampf eskaliert in Verurteilung und Erlösung, in Tod und Geburt, welcher surrealer kaum sein kann. Doch hat Harper die Kraft, ihren Dämonen standzuhalten und diese Nacht zu überleben?

Filmkritik „Men – Was dich sucht, wird dich finden“

Das Eichenblatt ist da irgendwie klebengeblieben. (Foto: Plaion Pictures)

Das Eichenblatt ist da irgendwie klebengeblieben. (Foto: Plaion Pictures)

Ganz klar: „Men“ ist ein Kunstwerk! Und wie es sich mit Kunst verhält – die einen lieben es, die anderen hassen es. Die Schauspieler sind mit Bedacht gewählt: Jessi Buckley („Chernobyl“ 2019, „Fargo“ 2020) trägt den Film, der alles andere als einfach ist. 15 Minuten ohne Worte gestaltet sie souverän als erfahrene Theatergröße. Das Chamäleon des Filmes, Rorry Kinnear (Bill Tanner in „James Bond“ 2008-2021) überzeugt ebenfalls durch Bühnenerfahrung in Theater und Oper. Für Garland’s Reise in die Hölle des Unterbewusstseins und der toxischen Männlichkeit übernimmt er sieben grandios gruselige Rollen zugleich.

Drehbuchautor und Regisseur Alex Garland, Sohn einer Psychologin und eines Karikaturisten, ist bekannt für starke Titel („28 Days later“ 2002) und kluge Regieprojekte („Ex Machina“ 2014, „Annihilation“ 2018). Mit dem Studio A24 („Everything Everywhwere All at Once“ 2022, „Midsommar“ 2019, „Hereditary“ 2018) wählte er einen Produktionspartner, der ein exzellentes Kinoverständnis repräsentiert. Mit „Men“ reiht sich hier ein weiteres unkonventionelles Filmerlebnis ein, das den Zuschauer massiv herausfordert.

Auch unter Wasser sind offene Augen das A und O. (Foto: Plaion Pictures)

Auch unter Wasser sind offene Augen das A und O. (Foto: Plaion Pictures)

Neben der überzeugenden Leistung der Darsteller fällt auch das Sounddesign positiv auf: Das Echospiel des Eisenbahntunnels durchströmt den ganzen Film wie ein unheilvoller Schrei aus der Hölle, der gleichermaßen ein Schrei nach Freiheit ist. Die Bandbreite an klassischen und bedrückenden Klängen bettet das Geschehen ausdrucksstark ein. Die kraftvolle Bildsprache zwischen schönster Idylle und tiefem Terror wird sensibel verknüpft durch dramatische Rückblenden und poetische Bilder. Dem Betrachter wird dadurch viel Raum für eigene Interpretationen eingeräumt.

Die sieben männlichen Charaktere gestaltet Rory Kinnear, trotz identischer Gesichter, gekonnt eigenständig. Sie irritieren und vereinheitlichen Garland’s Albtraum zu einer Reise der Selbstbeobachtung und der Manifestation der hässlichen Visage männlicher Gewalt. Die ausgeprägte Symbolsprache macht hier natürlich keinen Halt am Briefkastenschlitz, sondern setzt sich weitaus über das Ertragbare hinaus. Ohne hier zu viel verraten zu wollen, „gebärt“ die Kernszene des Films einen visuell und psychologisch höchst verstörenden Moment. Und er kulminiert in den ehrlichsten Worten dieser Welt: „Ich möchte, dass du mich liebst.“

Die Versionen

Man kann nur mutmaßen, wie es ein Film wie „Men“ auf eine Altersfreigabe ab 16 Jahren brachte. Scheinbar sind unsere britischen Nachbarn weitaus toleranter mit eigenen Produktionen als mit Genre-Importfilmen. Neben der psychologisch herausfordernden Komponente dürfte spätestens das expressionistische Finale selbst gestandenen Horrorfilmenthusiasten einiges abverlangen – wenn nicht sogar zu viel.

Das Urteil von Horrormagazin.de

„Men“ ist ästhetisch und zeigt wahre Schönheit sowie extreme, groteske Hässlichkeit. Dabei ist es jedem selbst überlassen, ihn als finstere Reise aus der eigenen Hölle oder als künstlerisch gelungene und harte Anklage gegen toxische Männlichkeit und Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft zu betrachten. Final ist es ein brillantes Drehbuch, das offen ist für jegliche Interpretationen und sich dabei weit von allen Erwartungen entfernt. „Men“ ist vollkommen resolut und fordert die Offenheit über das Gezeigte hinaus zu denken. Die Belohnung ist der Genuss eines der faszinierendsten und intelligentesten Filme der aktuellen Horrorlandschaft.

Bewertung: 5/5 Sterne

Der offizielle Trailer zum Film "Men – Was dich sucht, wird dich finden"

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Über Mallory Knox

Schon von klein auf kitzelte Mallory Knox das künstlerisch Spezielle. Filme hatten dabei immer einen besonderen Stellenwert. Nicht zuletzt durch die Ästhetik Cronenbergs verfiel sie dem Genre restlos und gibt jetzt schreibwütig ihren Senf dazu.
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