Einmal im Jahr wird sogar ein Kohlekaff wie Bottrop zum Zentrum Europas. Dann steigt dort das „Wochenende des Horrors“. Wir waren dabei – und lernten die Lektion fürs Leben. Am Eingang baumelt eine abgehackte Hand. Auf dem Tisch glotzt ein ausgerissener Augapfel blöd vor sich hin. Der Schlitzer aus Scream schleicht herbei und stößt mir das Messer in den Hals. Doch ich röchle nicht und spucke auch kein Blut. Die plastene Klinge versinkt im Griff und nicht in meiner Gurgel.
Inhaltsverzeichnis
Eine abgehackte Hand …
Es ist Wochenende, das ultimative Wochenende in Bottrop, Ruhrpott. Das Weekend of Horrors. Es ist der einzige Kongress fürs Horrorfilmgenre in ganz Europa. Für die Menschen, die auf ihrer Mattscheibe einen strammen Strahl frischen Bluts zu schätzen wissen. In Deutschland ist es wohl noch immer eine Minderheit. Und wir stecken mittendrin und werden im Laufe dieses Tags einen US-Filmstar mit Kater und eine Stooges-Parodie kennenlernen und den durchschnittlichen Horrorfilmfan ermitteln. Doch der Reihe nach.
Das Terror-Treffen erstreckt sich über zwei Etagen. Unten Stände mit einschlägigen Zeitschriften und Filmen – stapelweise, kiloweise, tischeweise. Sam Raimis Klassiker „Tanz der Teufel“ gehört zum Standardrepertoire ebenso wie die Folterfilme der „SAW“-Reihe. Natürlich alle ungeschnitten, ungeprüft, ungezogen – und so oftmals nicht einmal in der Videothek zu bekommen. Die meisten sind aus Österreich importiert, dem Land, das dem deutschen Horrorfilmfan wie das Paradies vorkommen muss. Dort gibt es die meisten Filme für den Blutdurst so, wie sie der Regisseur und nicht die Freiwillige Selbstverstümmelung der Filmwirtschaft (FSK) gerne hätte.
Der Kannibalenfilm liegt friedlich neben dem Zombie- und dem Vampirdrama. Es riecht nach Sex und Gewalt und noch mehr Sex und noch mehr Gewalt. Dahinter lümmeln gelangweilte Händler. Mittendrin steht ein interessierter Mann und betrachtet die Ware. Der Gesichtsausdruck seiner Frau einen Meter weiter lässt keinen Zweifel übrig, was sie von seinen Interessen hält.
Krankes Zeug auf dem Ladentisch
Weiter die Treppe hinauf. Die Luft gleicht einem feuchten, warmen Wattebausch. Sie wird sich im Laufe des Nachmittags mehr und mehr dem Innenleben eines tropischen Gewächshauses angleichen.
Oben weckt sofort der Eingang zur 18er Zone die Neugier. Drinnen ist die DVD-Ware noch einen Zacken schärfer als unten. Schwachsinniger SS-Frauen-Knast-Gewalt-Quatsch? Afrika-Kannibalen-Horror mit Hardcore-Sexszenen? Stumpfer Folterporno? Alles kein Problem. Ist so was schon krank? Vielleicht. Ein bisschen. Vielleicht auch ein bisschen mehr.
In den großen Saal zu gehen ist so, als würde jemand in sengender Hitze den Kühlschrank öffnen. Hier herrschen umgängliche Temperaturen. Hoffen wir, dass es so bleibt.
Die Tische bilden ein riesiges L. Davor ist genug Platz für eine Tanzveranstaltung. Hinter den Tischen sitzen die Stars. Keine Stars im Sinne eines ZDF-Zuschauers. Es sind Stars der Szene. Danielle Harris hat schon einige Filme der „Halloween“-Reihe auf dem Konto und mit Bruce Willis in „The Last Boyscout“ gespielt. Tom Sizemore hatte in „Das Relikt“ und „Der Soldat James Ryan“ bedeutende Rollen. Doch beider Plätze sind gerade leer. Aber Jake Busey ist da, hat die Kopfhörer übergestülpt und lauscht seinem iPod. Etwas verloren wirkt er schon hinter seinem „Jake Busey“-Plakat, das vor ihm von der Tischplatte baumelt. Sein Vater Gary, den wir vor allem als Fiesling aus „Lethal Weapon“ kennen, sollte eigentlich auch da sein. Doch seine einjährige Tochter sei krank geworden, erfahren wir später. Gary Busey wird bald 67 Jahre alt.
Logo/Plakat: Weekend of Horrors